Into the wild – Ein paar Schritte nach Norwegen

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von Mathias Döbbert 

Wenigstens einmal möchte ich nach Norwegen rüber paddeln und plane, eine Zwei-Tagestour mit Zelt und allem Brimborium zu beginnen, ungeachtet der eher betrüblichen Wettervorhersagen. Auf Stichwort beginnt es zu regnen. 

Morgen scheint bestimmt wieder die Sonne. Wenn Engel reisen, …. Mit diesem sonnigen Zweckoptimismus fiebere ich dem Start in eine neue Woche entgegen.

Doch dieser ist alles andere als vielversprechend. Der Himmel ist dunkel und wolkenschwer. In aller Ruhe widmete ich mich Morgentoilette und Frühstück. Dann bringe ich das Kajak ins Wasser und beginne die Ausrüstung zu verstauen. Es ist immer wieder beeindruckend, wieviel so ein kleines Boot schluckt. Dabei habe ich schon den Kleidungsanteil auf ein Minimum reduziert. Auch die Lebensmittelvorräte sind genau dosiert. Allein der Schlafkomfort mit Feldbett, selbst aufblasbarer Matratze, Schlafsack und Kopfkissen fordert den halben Lagerraum unter Deck. Fotoapparat, Fernglas, Solarmatte, Powerbank und Handy sind ebenso obligatorisch wie Spritzdeck, Sitzkissen, Schwimmweste und Abdeckplane. Wasserflaschen, Kleidersack, Gaskocher und Strohhut vervollständigten die Ausstattung. Das Wurfzelt wird noch obenauf geschnürt und ab geht die Fahrt, beladen wie ein Überlandbus in Indien. Ich komme keine 500 Meter weit, als der vorhergesagte Regen einsetzt. Ich steuere schnell zur nächstgelegenen Ausstiegsstelle und förderte aus einem der Packsäcke das Regencape zu Tage. Eingehüllt in blaue Plaste wie in einem Müllsack kann mir der Regen nun nichts mehr anhaben. Ich lasse es gießen und paddele weiter. Der Wind bläst schlapp und ich habe keinen Anlass, mir Sorgen wegen hohen Wellengangs zu machen.

Derart verkleidet muss ich wohl eine ulkige Erscheinung abgeben. Ich knipse einige Selfies selbst auf die Gefahr hin, Handy oder Kamera ordentlich zu wässern.

 

Nach zwei Stunden ist der Spuk vorüber und ich entledigte mich der nassen Pelle, sie jedoch in greifbarer Nähe deponierend. Nach neun Kilometern biege ich in die Badebucht ein, welche ich bereits auf den ersten Touren bei meinen Tagesausflügen entdeckt hatte. Gerade kommt die Sonne zum Zuge und ich gönne mir ein erfrischendes Bad und ein Pausenbrot. Körperlich und moralisch erneuert halte ich nun auf die vor mir liegende Troll-Insel zu. Woher der Name stammt, bleibt nur zu vermuten. Sicherlich entspringt er der hiesigen Mythologie und Fabelwelt. Für Schweden und Norweger sind Trolle genauso real wie für uns Deutsche die (Garten)Zwerge. Auf der Insel treffe ich jedoch keine Trolle an, sondern zwei deutsche Urlauber, die es sich hier gemütlich gemacht haben. Die Insel weist eine geografische Besonderheit auf, die es ihnen ermöglicht, In Norwegen zu Baden und in Schweden zu frühstücken, wie sie selbst scherzhaft erklären. Durch die Insel verläuft nämlich die norwegisch-schwedische Staatsgrenze, markiert durch einen, von gelb angestrichenen Granitbrocken umsockelten, Grenzstein. Dieser befindet sich auf einer kleinen Anhöhe am Norwegen zugewandten Teil der Insel. Ansonsten verläuft die Grenze längs durch diesen Teil des Foxen-Sees. Bei der Grenzfestlegung müssen die Geographen seinerzeit entweder von der Insel keine Kenntnis gehabt oder auf der Landkarte willkürlich einen geraden Strich gezogen haben, wie dies auch in Afrika durch die Kolonialmächte oft praktiziert worden ist. Von einer Nächtigung auf norwegischer Seite wird abgeraten, weil die Nordmänner die Corona-Bestimmungen sehr viel ernster nehmen als die Schweden. Gleichzeitig weist man mich auf ein ähnliches Kuriosum nur einige Kilometer entfernt hin, wo eine Festlandkuppe Norwegens eine schwedische Spitze aufweisen soll.

Ich überquerte mit Majak die nasse, virtuelle Landesgrenze und steuerte entlang der nun norwegischen Küste dem Kuriosum entgegen.

 

Tatsächlich finde ich den Grenzstein und überdies einen geeigneten Lagerplatz, groß genug, um ein Zelt eben aufstellen zu können. Die Landung und Entladung sind zwar etwas mühselig, da nur über Felsbrocken das Festland zu betreten ist, aber die Lage und Aussicht sind einmalig. Am felsigen Ufer befindet man sich in Schweden, am Zelt, ein paar Schritte weiter, bereits in Norwegen – keine Grenzkontrolle, kein Zoll! Das gilt dann wohl als illegaler Grenzübertritt.

 

Sonne und Regenwolken wechseln sich bis zum späten Abend ab und bescheren folgerichtig einen wundervollen Regenbogen. An der vorhandenen Feuerstelle, ein Steinkreis von ca. einem halben Meter Durchmesser, darf ich endlich mal wieder meinem Kindheitslaster frönen und kokeln, sprich: Ein Lagerfeuer entfachen. Viel trockenes Holz gibt es hier nicht. Dafür haben schon meine Vorgänger gesorgt, aber selbst ein kleines Feuerchen in freier Natur ist ein großes Erlebnis. Als in der Dämmerung die Buchstaben meines mitgebrachten Buches nicht mehr zu erkennen sind, ziehe ich mich ins Zelt zurück, wo ich eine ruhige Nacht verbringe.

Der nächste Morgen erstrahlt im Sonnenlicht. Eine leichte Brise von Osten her wird mich bei der Rückkehr nach Schweden unterstützen. Ein ausgiebiges Frühstück und eine mühsame Beladung über steile Klippen läuten die letzte Paddelfahrt meines Urlaubs ein.

Ich starte spät, gegen halb elf, und erreiche um die Mittagszeit nach fünf bis sechs Kilometern eine zauberhafte, sandige Anlege- und Badestelle. Ich verordnete mir ein Bad und legte T-Shirt und Handschuhe zum Trocknen aus. Das Wasser erfrischt vortrefflich. Zum Trocknen lasse ich anschließend die Sonne an meinen Körper ran. Kaum habe ich meine Kleidung wieder angelegt, tauchen mehrere Canadier nebst Besatzungen auf. Das wäre ein Anblick gewesen! Ein faltiger, alter Mann, ganz wie die Natur ihn schuf; kein Genuss für Freunde der Ästhetik. Die Boote tragen allesamt den Schriftzug Scandtrack. Diese Firma repräsentiert rund um den Foxen den Massentourismus. Die Werbung im Internet zielt vor allem auf junge Deutsche ab, denen 1 Woche bis 10 Tage Wildnis versprochen wird und Action mit Gleichgesinnten. Auf den ausgewiesenen Rastplätzen ist man daher auch nie allein. Für Abgeschiedenheit und Ruhe suchende Paare oder Singles ist dieses Angebot nichts. Die Bewerber werden mehrmals pro Woche mit Bussen ran gekarrt und wieder abgeholt. Die typischen Aluminium-Canadier sind auf dem Gewässer überall anzutreffen.

 

Auf den letzten Kilometern bis zum Basislager lasse ich mir Zeit und sauge alle Bilder in mich auf, denn so schnell werde ich dieses paradiesische Fleckchen Erde/Wasser wohl nicht wieder zu Gesicht bekommen. Natürlich habe ich viel fotografiert, aber Fotos können nur ansatzweise die Wirklichkeit widerspiegeln.

Auf dem Campingplatz finde ich meinen VW unschwer wieder, denn in der Zwischenzeit sind alle Nachbarn abgereist. Dasselbe erwartet mich morgen.

 

Ich werde in aller Ruhe „die Zelte abbrechen“, das Boot zusammenfalten, packen und den Abwasch erledigen, Frischwasser nachtanken, usw. und losrollen gen Heimat, bleibende Eindrücke und taufrische, schöne Erinnerungen im Gepäck.



Kommentare: 3
  • #3

    Karin Lehr (Dienstag, 31 August 2021 11:02)

    "Wer denkt, Abenteuer seien gefährlich, der sollte es mal mit Routine versuchen: die ist tödlich."
    Zitat Paulo Coelho
    Danke Mathias für deinen tollen Beitrag deiner skandinavischen Paddeltour mit erkenntnisreichen Grenzerfahrungen. So konnte man ein Stück Sehn(Seen)sucht aus dem alltäglichen Gleichklang schüren.
    Also weiterhin .....ab "into the wild"......

  • #2

    Fred Schröder - Kanuclub Fan und Gastleser (Montag, 23 August 2021 10:14)

    "Into the wild" habe ich sehr aufmerksam gelesen. Schon beim Lesen habe ich die beschriebenen Bilder vor mir gesehen. Dieser Bericht - zum Paddeln im Land von ABBA - liest sich besser als die üblichen Reiseberichte in den Hochglanzprospekten. Und die Fotos sagen mehr aus als die bekannten Aufnahmen aus den Romanverfilmungen im Fernsehen.

  • #1

    Karl-Heinz Schulze (Samstag, 21 August 2021 11:50)

    Einfach Super Mathias , weiter so.