von Mathias Döbbert
Tag 3: Dranske – Schaabe
Der Himmel hatte ein Einsehen. Ein sehr netter junger Mann an der Rezeption prüfte für mich den Wetterbericht. Kein Sturm in Sicht. Ich konnte die Umfahrung der Nordspitze von Rügen wagen. Das obligatorische Frühstück musste ich im Stehen einnehmen, denn auf Caravan-Campingplätzen gibt es keinen Bedarf mehr für rustikale Tischgruppen und Bänke.
Den eingesparten Platz kann man gewinnbringender für noch mehr Stellplätze verwenden. Jedes Wohnmobil hat schließlich seine eigenen Sessel und Klapptische dabei. Im Übrigen scheint das klassische Zelten längst aus der Mode zu sein. Die Zelter von gestern sind die Camper von heute.
Von Dranske aus paddele ich nun entlang der Steilküste. Der schmale Sandstreifen unter den Felskanten ist von Badegästen belagert, die mit ihren Windschützen und Strandmuscheln ein Band bunter Tupfer hinterlassen. Auf den Klippen stehen Bäume kurz davor, sich vom Hochufer in die Tiefe zu stürzen. Im Schatten der Küste kann mir der Ostwind bislang nichts anhaben und so komme ich gut voran. Ich muss nur ständig auf Findlinge achten, die unter der Wasseroberfläche auf mich zu warten scheinen. Bei Sonnenschein sind sie jedoch leicht auszumachen. Das klare Ostseewasser macht's möglich. Über 15 km zieht sich die Steilküste hin, bis sich mit zunehmender Brise und Wellengang Kap Arkona ankündigt. Die Landspitze ist schnell umrundet. Selbst ein paar Fotos zu knipsen ist möglich, auch wenn ich das Paddel dafür ungern aus der Hand lege. Der Leuchtturm ist von Westen her nicht zu sehen. Ein Blick zurück zeigt ihn dicht eingerahmt von hohen Bäumen.
Im Hafen von Vit herrscht reges Treiben. Urlauber sind in Scharen in das kleine Fischerdorf eingefallen. Cafes und Imbißbuden bieten Stärkung an. „Coffee to swim“ wäre jetzt nicht schlecht. Leider ist diese Geschäftsidee noch nicht geboren und ich strebe koffeinfrei weiter Richtung Süd-Südost.
Hier schlägt der Ostwind nun vollends zu. „Was, diese Nußschale hat es um Kap Arkona geschafft? Der werden wir es aber zeigen!“, höre ich die Wellen trotzig grollen. Erstmals seit Beginn meiner Tour türmen sich Wellen auf, die ihre Namen wert sind.
Da gibt es zum einen „Neptuns Zahn“. Sie taucht auf wie aus dem Nichts, reckt sich steil empor und fällt wieder in sich zusammen. Mit einer abrupten Bremsung oder ein paar kräftigen Paddelschlägen kann man ihr ausweichen. Sollte ihr Kamm einen längsseits erwischen, muss man kurz die Luft anhalten.
Eine andere Welle ist der sogenannte „Götterzorn“. Er taucht erst einmal tief hinab ins Wellental, wie um Luft zu holen und stemmt sich dann zu einer beeindruckenden breiten Front empor. Erwischt man diese Welle breitseitig schiebt sie einen meterweit in ihre Laufrichtung bevor sie lang ausatmend zusammensackt.
Sehr unbeliebt ist auch der „Kajakwender“. Für sich allein genommen ist die Welle eher unscheinbar. Sie arbeitet jedoch Hand in Hand mit dem Seitenwind. Dieser dirigiert das Kajak allmählich in eine günstige Position quer zur Windrichtung und der „Kajakwender“ vollendet dann mit einem gezielten Seitenhieb das unheilvolle Werk des Duos.
Das ständige Auf und Ab wird mir langsam zu anstrengend. Ich versuch an der beginnenden Schaabe den Campingplatz bei Juliusruh auszumachen. Immer wieder muss ich zu den Badenden ins Flachwasser fahren, um nach dem rechten Dünendurchgang zu fragen. Das bekommt „Majak“ und mir aber gar nicht gut, denn nun geraten wir in die Brandungswellen. Nicht hoch, aber kurz nacheinander brechen sie über dem Bootsrumpf zusammen und rollen über ihn hinweg. Mein Spritzdeck ist nur noch eine Formalität. Man könnte mich auswringen. Einen Platzregen, der alle Badegäste von Strand fegt, muss ich noch durchstehen, ehe ich das Freizeitcamp „Am Wasser“ erreiche. Pudelnass stehe ich vor dem Anmeldehäuschen, als sich wie zum Hohn die Sonne wieder aus den Wolken pellt. Eine (kurze) heiße Dusche später und in trockenen Sachen sieht die Welt schon wieder viel fröhlicher aus. Pfannenduft steigt mir in die Nase und ich gönne mir zum Ausklang des Tages einen großen Teller Bratkartoffeln mit Spiegelei in der Camper-Gaststätte.
Tag 4: Binz – Thiessow/Klein Zicker
Die nächste Etappe, die Umfahrung der Halbinsel Jasmund mit Stubbenkammer, Königsstuhl und Kreidefelsen, muss ich leider aussetzen. Sturm peitscht die See auf und jeder Versuch, es mit dem Faltbötchen zu wagen, wäre leichtsinnig und lebensgefährlich. Ich tue also das Vernünftige und lasse mich von meiner Mutter aus Binz abholen. Boot und Gepäck werden im Kofferraum sowie auf den umgeklappten Rücksitzen des Fiat 500 verstaut und vor meinen erstaunten Augen mutiert die Kleine Cabrio-Halbkugel zum Mini-LKW.
Zwei Tage später hat sich das meteorologische To·hu·wa·bo·hu gelegt und ich setze am Fischerstrand von Binz „Majak“ wieder zusammen. Schaulustige beobachten das ungewöhnliche Vorhaben. Die Sonne lacht. Die See ist ruhig und strahlt türkisfarben. Ein schneller Blick zurück auf das Binzer Kurhaus und schon bin ich um die letzte Spitze des Prorer Wiek gebogen und außer Sichtweite.
Schon bald taucht die Silhouette von Sellin mit der unverkennbaren Seebrücke auf. Ich gleite ohne Hast unter ihr hindurch und nahtlos gehen die endlosen Sandstrände von Sellin, Baabe und Göhren ineinander über. Es geht eine schwache Brise, sodass Anfänger gefahrlos Kurse im Windsurfen absolvieren können. Ich umrunde „Nordperd“, die östlichste Landzunge der Insel Rügen. Reetdachhäuser ducken sich hinter die Dünen. Strandkörbe reihen sich bis ans Ufer und die Strände sind bei diesem Supersommerwetter voll von Touristen. Fröhliches Kindergeschrei ist die übliche Geräuschkulisse. Vereinzelt kommen Schwimmer näher, doch ich halte vorsichtig Abstand.
Zum Aussteigen habe ich keine Lust, also nehme ich eine kleine Mahlzeit direkt im Boot ein. Sie besteht vor allem aus Müsliriegeln und Mineralwasser. Vorsorglich erneuere ich den Sonnenschutz im Gesicht. Alle anderen Körperteile sind gut verhüllt. Als ich Lobbe passiere spüre ich bereits die 20 absolvierten Kilometer in den Armen und im Rücken. Thiessow ist längst in Sicht, doch es gilt, noch den „Südperd“ zu knacken. Ich biege in den Greifswalder Bodden ein und schon 1000 m weiter befindet sich vor Klein Zicker der Campingplatz „Surf-Oase“. Der Platz ist einfach gehalten und voll von Wohnmobilen. Selbst hier bin ich ein Zelt-Exot. Meine Maggi-Suppe vom Gaskocher schlürfe ich genüßlich am (noch vorhandenen) Zeltplatztisch; zur Rechten der Zickersee und zur Linken der Bodden, wo friedlich die Abendsonne dem Horizont zustrebt.