von Mathias Döbbert
Am Freitagabend, den 26. Juni, trudelte ich bei der Verwandtschaft in Stralsund, OT Devin, mit Faltboot im Kofferraum und gefühlten 50 kg Gepäck ein. Die spontane Grillparty kommt mir sehr gelegen, denn in meinem Packsack schlummern für die nächsten Tage nur Tütensuppen und einige Kekse. Also tanke ich noch einmal Energy und Motivation und fiebere dem Start am nächsten Morgen entgegen.
Tag 1: Stralsund – Ummanz
Der Bootsaufbau geht flugs voran. Länger dauert schon das Verpacken von Bootswagen, Sackkarre, Zelt, Schlafsack und drei Packsäcken. Bei nahezu Windstille und Sonnenschein lege ich westwärts ab und kreuze den Strelasund in Richtung Rügendamm-Brücke. Hell strahlt die Fassade der ehemals Volkswerft. Jetzt darf ich nur nicht mit einem der Teilnehmer des an diesem Sonnabend stattfindenden Hiddensee-Marathons verwechselt werden, die zeitgleich von Stralsund aus zu einem 70 Kilometer-Kajak-Rennen gestartet waren. Der neue Rügendamm erhebt sich Ehrfurcht gebietend über dem ruhigen Wasser. Die Silhouette der Altstadt von Stralsund bleibt zurück; keine Profipaddler weit und breit zu sehen. Ich gleite an Altefähr vorbei und gönne mir eine erste Pause. Von neugierigen Badegästen werde ich kritisch gemustert. Man scheint hier jedoch Ungewöhnliches gewöhnt zu sein. Die Sonne steigt höher und die Hitze wird mörderisch. Ich sorge für Marscherleichterung und streife das schwarze Spritzdeck ab. Die Schwimmweste wird zur Rückenlehne umfunktioniert. Bei diesem Wetter ist mit Seenot eher nicht zu rechnen.
Nach einigen Kilometern endet der Strelasund und ich biege ein auf den Kubitzer Bodden. Schwaanensee. Schwäne haben sich entlang der Flachwasserlinie verteilt, aufgereiht wie auf einer weißen Perlenkette. Ich bin sekundenlang geneigt, 8-10 Kilometer quer über den Bodden zu paddeln. Verräterisch nah scheint das gegenüberliegende Ufer, doch mein Respekt vor dem offenen Wasser ist größer und auch die ausgewiesene Route meiner Wasserkarte lässt keinen Zweifel. Man fährt lieber 20 Kilometer herum. Bei Kilometer 16 (ab Rügendamm) sollte sich ein Rastplatz befinden. Leider kann ich ihn nicht finden und beschließe, das Mittagsbrot an einer kleinen Bucht einzunehmen. Weiter geht es Kilometer für Kilometer entlang nicht enden wollender Schilfgürtel, in denen es rauscht und raschelt. Die Insel Liebitz muss ich weiträumig umrunden, denn hier gilt absolutes Fahrverbot. Bereits 33 Kilometer in den Knochen werden allmählich die Arme schwer. Die Hitze klingt langsam ab und endlich erblicke ich nach Stunden monotoner Schilfbuchten ein neues Ziel – die Insel Heuwiese.
Sie und der Wasserstreifen zwischen ihr und der Halbinsel Ummanz sind totales Naturschutzgebiet. Die direkte Abkürzung zur Halbinsel ist verboten. Ich füge mich den Gegebenheiten und steuere die Südspitze der „Heuwiese“ an, schleunigst die 2 Kilometer offenen Wassers zu überwinden. Auf der Insel herrscht Krieg. Bataillone von Kormoranen versuchen den Möwen mit schierer Überzahl die besten Brutplätze abzutrotzen. Diese jedoch sind wehrhaft und verteidigen jeden Zentimeter mit ohrenbetäubendem Lärm. Außerdem sind sie weniger furchtsam und lassen sich von einem dahergekommenen Paddler nicht aus der Ruhe bringen. Anders die Kormorane, die entlang meiner Route hastig die Flucht aufs Meer antreten. „Das ist unser Haus“, höre ich noch das Mantelmöwenpaar hinter mir zetern und wende mich für heute das letzte Mal dem offenen Gewässer zu. Nach 40 Kilometern Tagesleistung erreiche ich den Campingplatz Suhrendorf.
Ich finde eine gute Stelle zum Anlegen und quäle mich aus dem Kajak. Die Dame an der Rezeption ist jedoch unerbittlich. Keine Sonderwünsche! Ab zur Zeltwiese. Ich ziehe mit letzter Kraft „Majak“ 100 m am Ufer entlang durch modriges Seegras und schleppe Packstück für Packstück hinter die Dünung. Mein Wurfzelt ist schnell aufgebaut, auch wenn es länger als die beworbenen 2 Sekunden dauert. Ich kann noch die Vorzüge der Zivilisation genießen und gönne mir eine heiße Dusche – 3 Minuten lang. Danach ist die Duschmarke aufgebraucht.
Die Dämmerung bricht urplötzlich herein und eine Wolke von Mücken stürzt sich auf mich. Mit einem Hechtsprung rette ich mich ins Zelt hinter das dichte Insektengitter. Die Blutsauger wurden um ihr sicher geglaubtes Abendbrot gebracht und ich um eine heiße Maggi-Hühnersuppe, denn im Zelt wage ich es nicht, den Gaskocher anzuwerfen.
Tag 2: Ummanz – Dranske
Sechs Uhr früh ist die Stunde der Hasen, die ungeniert zwischen den Schlafmobilen hin und her hoppeln. Die Camper liegen in tiefem Schlaf in ihren Wohnburgen. Der Campingplatz ist noch wie ausgestorben. Ich kann in aller Ruhe die Zelte abreißen, das Boot packen und gemütlich frühstücken, denn vor Acht ist die Rezeption nicht besetzt. Die Windfahne zappelt nur müde am Mast.
Als alle Formalitäten erledigt sind, setze ich meinen Wasserweg mit halber Kraft Richtung Norden fort. Ab heute will ich es ruhiger angehen. Schließlich bin ich im Urlaub.
Der Küstenstreifen von Ummanz ist flach, nur 30-50 cm tief. Gengenüber liegt Hiddensee. Die weißen Häuschen von Neundorf sind am Horizont zu erkennen. Als die Sonne sich durch die Wolken bricht, spiegeln sich ihre Strahlen am Boden des Schapröder Boddens wie kleine Goldadern. Blasentang streckt seine gliedrigen Finger nach den Paddeln aus. Ich halte, vorbei am Udarser Wiek, auf die Südspitze der Insel Öhe, das „Schafshorn“, zu. Als Orientierung dient die Kirchturmspitze von Schaprode. Dort angekommen, werde ich promt von einem viel zu dick angezogenen Exemplar begrüßt.
Hafen und Strand von Schaprode bleiben zu meiner Rechten zurück und ich arbeite mich auf Seehof vor, dem Eingang zum Wieker Bodden. Fähren und Fahrgastschiffe durchqueren die schmale Fahrrinne zwischen Hiddensee und Festland. Nach „Stolper Haken“ eröffnet sich der Blick auf den Leuchtturm von Kloster (Hiddensee) am Bakenberg. Ein Fischer kontrolliert seine Reusen. Schnell ist er von einer Schaar Möwen umringt, die ihren Anteil am Fang fordern. Der Blick nach Backbord gestattet die Sicht auf den Yachthafen von Vitte (Hiddensee).
Am steinigen Ufer von Seehof möchte ich eine Pause einlegen. Früher gab es hier einen Caravanplatz, doch jetzt ist kein Campingmobil zu sehen. Schneller als ich das Wort „Aussteigen“ aussprechen kann, kommt eine Frau auf einem Rasentraktor angedüst. „Dies ist Privatbesitz und Aussteigen ist verboten!“, verkündet sie gebieterisch. Anscheinend handelt es sich um die Eigentümerin. „Es wird immer nur Müll hinterlassen“, begründet sie ihren verbalen Ausbruch und fügt hinzu: „Kajakfahrer sind sowieso die Schlimmsten.“ Argumentieren – aussichtslos. Am Ufer sind Schilder mit der Aufschrift „Vorsicht! Bissiger Hund“ aufgestellt. Sie hätten auch „Vorsicht! Bissige Besitzerin“ lauten können. Ich verlasse diesen unfreundlichen Ort steuere auf den „Bug“ zu.
Mit einigen Segelbooten muss ich mir die Fahrrinne teilen, denn links und rechts davon gilt wieder absolutes Fahrverbot. Nach 7 langen Kilometern kann ich endlich hinter dem Nationalpark am Bug an Land gehen. Schon aus gekränktem Stolz sammle ich demonstrativ am menschenleeren Strand ein paar Plasteflaschen in meinen Gelben Sack. Ehemals militärisches Sperrgebiet der NVA ist die Halbinsel nun ökologisches Sperrgebiet. Zeit für eine Mittagspause. Der Strandhafer und die Sanddiestel blühen am verlassenen Dünenaufgang. Ich koche mir ein Süppchen und plündere meinen Proviantbeutel. Nur noch 4 Kilometer bis zum Tagesziel. Es ist früher Nachmittag und ich nutze die Gelegenheit für ein Bad in der salzigen Ostsee. Ich bin noch keine 500 Meter weiter gepaddelt als plötzlich von Hiddensee aus dunkle Wolkenbänder auftauchen. Es fängt an zu regnen. Das ist eigentlich kein Grund anzuhalten, doch als sich die Schauer zu einem Platzregen ausweiten, der Wind auffrischt und Donnergrollen einsetzt, flüchte ich mich wieder an den Strand; Hauptsache raus aus dem Wasser. Als endlich das Zelt in der Düne aufgebaut ist und einige Sachen ins Trockene gerettet sind, bin ich klitschnass.
Eine Stunde später ist das Gewitter durchgezogen. Nur der Wind will nicht nachlassen. Ich reite die langen Wellen ab und hoffe, von diesen nicht auf die alten Holzbuhnen kurz unter der Wasseroberfläche geworfen zu werden. Endlich erreiche ich bei Kilometer 56 das Caravancamp Dranske. Mit „Majak“ auf dem Bootswagen, Sack und Pack erreiche ich die Anmeldung. „Wir nehmen hier keine Zelter“, ist das Erste, was ich zu hören bekomme. Ob das auch für angeschwemmte Schiffbrüchige gilt, möchte ich wissen. Man läßt sich erweichen. Der Chef sieht's ungern. „Das bringt nur Ärger“, kann ich förmlich seine Gedanken lesen. „Aber nur für eine Nacht, dann müssen Sie weiter“, wird mir ans Herz gelegt. Ich versichere, dass dies meine tiefste Absicht sei, wenn nur der Wind abnehmen würde.
Martin S. Weimar (Freitag, 17 Juli 2020 00:20)
Er hat es doch gemacht!
Hocherfreut las ich heute den ersten Teil von Rund Rügen. Vor ca. 20 Jahren war ich auf der gleichen Route unterwegs und wurde von Mathias nun noch mal mit auf die Reise genommen. Sehr gespannt auf die Fortsetzung und inmitten der heißen Vorbereitungsphase zu meiner Paddeltour von Sömmerda nach Aken sehen wir uns wenn alles gut geht am 29.07.2020 im Heimathafen.