Dzień dobry Polska - Guten Tag, Polen!

von Martin Schurz

Wieso eigentlich nach Polen?

Eine Dienstreise im November 1974 führte mich zum ersten Mal in unser Nachbarland, u.a. nach Krakow. Da unser Bus nach Kielce erst in 4 Stunden abfuhr, machten wir erst mal einen kleinen Stadtrundgang durch das schöne Krakow. Der Rynek Markt mit den Tuchhallen und der wunderschönen Marienkirche beeindruckte uns sehr. 

Weiter zum Wawel, dem alten Königsschloss, und dann, unterhalb des Wawels, lag sie auf einmal vor mir. Die Wisła, - zu Deutsch Weichsel - der polnische Nationalfluss und meine erste Begegnung mit ihm. Jedenfalls war es das erste Zusammentreffen mit diesem Fluss und meine Gedanken waren damals: Hier werde ich mal paddeln. Da unsere für etwa 4 Wochen geplante Dienstreise dann insgesamt ein Jahr dauerte, hatte ich in dieser Zeit an mehreren Stellen Begegnungen mit der Weichsel. Ausgesprochen wird der Flussname übrigens "Wiswa", denn das ł mit dem Querstrich wird immer wie ein W gesprochen.

Die Wisła ist mit einer Länge von 1.048 Km der längste Fluss in Polen. Für europäische Verhältnisse ist sie weitgehend unreguliert und naturbelassen. Was das bedeutet, kann man wirklich erst auf so einer Kajaktour erfahren. Das Inselgewimmel der mittleren Weichsel ist der Traum eines jeden Wildcampers.

Hilfreich ist natürlich auch ein Blick auf Google maps. Es gleicht schon einem kleinen Abenteuer, den hunderten von Inseln und Sandbänken auszuweichen und die ideale Fahrlinie zu finden. 

Im Jahr 2012 unternahm ich meine erste Fahrt auf der Weichsel; und zwar auf dem Mittellauf von Sandomierz nach Warszawa - eine Strecke von 237 km.

Dieses Mal sollte es nun von Warschau bis zur Mündung in die Ostsee, also nach Danzig Gdansk, gehen. Bei Flusskilometer 942 km mündet das Weichseldelta in die Ostsee. Start in Warschau bei 506 km ergibt also ungefähr eine Gesamtstrecke von 436 km. In zähen Verhandlungen ist es mir gelungen, drei Wochen für dieses Unternehmen frei zu bekommen. Danke dafür. Also los geht`s und nach 19 Tagesetappen wusste ich dann: Es war die bisher anstrengendste, aber auch eine der schönsten Wanderfahrten meines Lebens.

 

Die Anreise nach Warschau

Nachdem der 20 Jahre alte Skoda Oktavia mit Boot, Zelt und allem, was man so für eine Expedition benötigt, beladen war, ging es so gegen acht Uhr mit vielen Hinweisen von meiner Liebsten auf die Autobahn 4 nach Osten in Richtung Dresden Görlitz nach Polen und gegen 17 Uhr sah ich die Skyline von Warszawa vor mir. 

Im südöstlich gelegenen Ortsteil Wald kannte ich noch einen kleinen Sportboot Hafen der PTTK Organisation. PTTK ist die Abkürzung für die Polnische Gesellschaft für Tourismus und Heimatkunde und die hat beispielsweise an den Masurischen Seen viele Stützpunkte und Zeltplätze, speziell für Kanuten.

Die Formalitäten waren schnell erledigt, das Namiot Zelt und der RZ 85 Zweier Kajak schnell aufgebaut. Kurz zum kleinen Hafen runter und die Wisła begrüßt. Deutlich war zu bemerken: Der Pegelstand ist sehr niedrig. Naja, mein Tiefgang ist ja nur so etwa 10 cm. Mich überfielen, wie so oft abends am Wasser, die Mücken. Schnell ins Zelt und alle Schotten dicht. Eine richtig ruhige Nacht wurde es natürlich an der Peripherie von Warszawa nicht, da hinter dem Deich eine Schnellstraße entlangführt. Negativ sind mir nachts die vielen Polizei- und Krankenwagen aufgefallen, die natürlich alle schon mit den amerikanischen Signalsirenen ausgestattet sind. Ich kam mir vor wie bei Miami Vice.

Auf der Wisła Weichsel

Nach der ersten Nacht im Zelt wurde ich pünktlich gegen 6 Uhr durch die einsetzende Zeltheizung geweckt. Also erste Regel: Augen auf bei der Zeltplatzwahl oder man will sehr früh seine Etappe beginnen. Nach einem ausgiebigen Frühstück und einer vorläufig letzten Benutzung eines WC`s brachte ich das Boot auf der Slipanlage ins ruhige Hafenwasser. Nun also wieder das Stauen. Wie immer waren die wasserdichten Packsäcke (waterproof stuff bag`s) zu voll und zu dick. Vielleicht sollte ich in Zukunft disziplinierter bei der Menge meines Reisegepäcks sein. Zum Schluss mussten zwei Säcke auf dem Deck an der Reise teilnehmen. Mit ein paar kräftigen Paddelschlägen verließ ich den kleinen Hafen und die starke Strömung des breiten Stromes nahm mich mit Richtung Ostsee.

Nun dachte ich mir so: Kamera raus und gemütlich mehrere Kilometer an der polnischen Metropole vorbeifahren und Fotos machen. Doch, denkste! Bereits nach der zweiten Brücke sah das vor mir liegende Wasser ziemlich unruhig aus und trotz des Großstadtlärms war ein Rauschen ziemlich deutlich zu hören. Zum Glück ohne Grundberührung ging es mit ziemlich großer Geschwindigkeit durch diese Sohlschwelle (oder war es doch eine ganz schöne Stromschnelle?). Diese Art von Stromschnellen setzten sich in unterschiedlichen

Abständen bis 50 km vor der Mündung fort. Irgendwann wurde es ruhiger auf dem Fluss. Die Häuser wurden weniger und ich war auf einmal ganz allein in der Wildnis im Auenwald.

 

Am Nachmittag kam dann ganz schön Wind auf und der kam direkt aus Nordwest. Nach ungefähr 30 gepaddelten Kilometern schaute ich nach einer kleinen Insel aus, um mein Nachtlager aufzuschlagen. Das gelang relativ schnell in Sichtweit der kleinen Stadt Novy Dwor. Leider merkte ich erst im Laufe des Abends, dass in Nowy Dwor ein Flugplatz ist. Die deutlich als Ryanair auszumachenden Maschinen machten natürlich am Vorstart und beim Steigflug einen tüchtigen Lärm. Die Nacht war kurz.

Schnell wurde gefrühstückt, das Lager abgebrochen und das Boot gepackt. Diesmal musste nur noch ein Packsack auf dem Deck Platz nehmen. Die Hauptfahrtrichtung war heute nach West und der aufkommende Wind drehte leicht von NW auf W. Das Paddel fest ergriffen, nahm ich die nächste Etappe in Angriff. Im Durchschnitt ist der Fluss hier so etwa 200-400 m breit. Ich versuchte also, ein wenig dem Wind auszuweichen und mehr links oder rechts am Ufer zu fahren. Das war aber auch nicht so toll, denn die Strömung ist da viel geringer. Außerdem sitzen da auch gefühlte, tausende von Anglern, die ihre Wurfgeschosse von Ködern am liebsten bis zur Flussmitte werfen wollen. Ebenso beschloss ich, das Boot am nächsten Tag anders zu beladen. Ich brauche am Bug mehr Tiefgang, um bei einer Paddelunterbrechung nicht sofort um 180 Grad gedreht zu werden, denn der Wind sollte sich in den nächsten Tagen nicht verringern.

 

Nach einem weiteren, anstrengenden Tag mit ständigem Gegenwind in unterschiedlichen Stärken war meine Insel, auf der ich die nächste Nacht verbringen würde, schnell gefunden. Nach der Errichtung meiner Villa und Einrichtung derselben fiel mir sofort auf, dass Brennholz zum Kochen in sehr ausreichender Form förmlich bereit lag. Da es außer an zwei Tagen sonst überhaupt nicht regnete, war das Feuer ganz schnell bereit zum Kochen. Es gab Zucchini aus dem eigenen Garten mit Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch. Auch etwas Speck und Schinken zur Kräfte-Regenerierung durften natürlich nicht fehlen. Nach dieser gutschmeckenden und stärkenden Mahlzeit gab es immer noch genügend Holz, um einen Tee zu kochen und mit heißem Wasser abwaschen zu können. Koch- und Lagerfeuer machen zu dürfen, ist übrigens ein Privileg, welches in unserem Nachbarland offensichtlich überall in der Natur geduldet wird; ebenso wie das freie Zelten.

 

Auf dem Fluss fiel mir plötzlich ein Ast mit Zweigen und Blättern auf, der sich schneller als die Strömung im Wasser bewegte und meiner Insel zustrebte. Er schwamm ans Ufer und der dazu gehörende Biber machte sich genüsslich über die Blätter und die Rinde her. Trotz einsetzender Dämmerung nahm ich meine Kamera mit dem Teleobjektiv und ging auf die Fotopirsch. Ich näherte mich etappenweise vorsichtig dem Biber und erst als ich 10m vor ihm war, ging er ins Wasser zurück und tauchte mit einem kräftigen Klatsch unter. Nach einer Weile taucht er natürlich etwas entfernt wieder auf und schwamm schnurstracks genau wieder zu der Stelle zurück, um seine Mahlzeit fortzusetzen. Er erzeugt zwar eine riesige Menge an Totholz, aber selbst kleinste Zweigstücke treiben auf Sand wieder aus und sorgen für eine schnelle Renaturierung.

Diese abendlichen Biber-Besuche fanden dann an jedem Abend auf der gesamten Strecke statt. Und das alles ohne Reservate und Naturschutzgebiete mit Uferbetretungsverbot. Was für ein schreckliches Wort für Wassersportler und Naturliebhaber. 

Am nächsten Morgen die übliche Zeremonie: In aller Ruhe frühstücken, das Lager abbrechen und stauen. Nach einigen Kilometern Fahrt tauchte am Horizont die Rauchfahne der größten Raffinerie des Landes auf, die dicke Rauchfahne sah sehr schweflig aus; zeigte mir jedoch Windrichtung und Stärke an. Die erste größere Stadt Płock war erreicht. Die Strömungsgeschwindigkeit nahm immer mehr ab und die Wisła wurde immer breiter. Ich hatte den 50 km langen und bis zu 2 km breiten Stausee erreicht. Die Nachtlager-Suche war nun etwas schwieriger, denn es gibt keine Inseln mehr wie bisher. Nach längerer Suche dann doch wieder ein kleiner Sandstrand; wie geschaffen für mich und auf der Ostseite mit morgendlicher Beschattung. Also mal schön ausschlafen am nächsten Morgen. Am Abend tobte noch ein Gewitter mit viel Regen, aber ich lag entspannt und trocken im Zelt und las das Buch „Reise zu den Polen“ von Steffen Möller.

Cześć Polska! - Hallo, Polen! 

Von Płock nach Gdańsk

Nach einer ruhigen Nacht und ohne sehr frühe Zeltheizung wurde ich trotzdem sehr frühzeitig durch ein sehr lautes Trompetensignal oder Heulen, geweckt. Kurz danach erfolgte ein etwas eigenartiges, sehr zeltnahes, lautes, hundeartiges Bellen. Kurz danach war wieder Ruhe und ich konnte mein großes Küchenmesser wieder weglegen und noch etwas weiterschlafen, denn es war erst 6 Uhr.

Nachdem ich mich dann doch endlich aus dem Zelt heraus bewegte, erfolgte wie an jedem Morgen die Spurensuche im Sand um mein Zelt herum, welche Art von Besuchern ich in der Nacht so hatte. Und was mussten meine Augen sehen? Ziemlich große Hundespuren immer rings um das Zelt die ins dichte Uferdickicht führten. Gut dachte ich, wer oder was es auch war, er ist ja offensichtlich weg. Also erstmal Kaffee kochen und frühstücken.

Doch he, wo ist die dritte Schraubdose von etwa 10 l Inhalt? Die große ca. 30 l Inhalt und eine kleine standen vor dem Zelt. Mein Lebensmittelvorrat ist in diesen Dosen verstaut. Beim Öffnen derselben stellte ich fest, dass die Haferflocken, das Brot, Butter und diverse andere Lebensmittel dort waren wo sie hingehörten. Aber in der nicht mehr auffindbaren Dose war der schöne Schwarzwälder Schinken, der Speck und einige Knackwürste mitsamt meiner Knoblauch-Vorräte. Stinksauer und Vorstellung von einer Hungersnot, so aß ich mein Frühstück und überlegte, wer der Räuber gewesen sein könnte.

 

Auf Grund der Größe der Fußspuren und der eigenartigen Geräusche kam ich zur Überzeugung, dass der Täter nur ein Wolf gewesen sein konnte. In Polen ist der Einwanderer aus Russland nämlich schon seit Jahrzehnten heimisch, im Gegensatz zu Deutschland. Es stellt sich für mich nur die Frage, ob Wölfe Rechtsgewinde kennen und in der Lage sind, den roten Schraubdeckel vom weißen Behälter abzuschrauben. Greifen und wegtragen funktioniert ja offensichtlich recht gut. Kaputtbeißen ginge wahrscheinlich auch. Hoffentlich findet der Räuber nach dem Verzehr des Inhalts auch eine Mülltonne um die Plastikreste zu entsorgen.

Da der Wind immer noch fast von vorn kam und natürlich auf dem breiten Stausee an Stärke zunahm versuchte ich mit dem mitgeführten Segel die Fortbewegung auf diese Weise. Kreuzenderweise war das auch eine Möglichkeit in ziemlich schneller Fahrt von einem Ufer an das andere zu kommen. Natürlich nahm auch die Höhe der Wellen zu, bis zu 50 cm. Das ganze machte mir zwar einen Heidenspaß, aber wenn man dadurch nur 2 bis 3 km in der Stunde vorankommt bringt es für ein weiteres Fortkommen auch nicht gerade viel. Also stramm weiter paddeln.

 

In einer kleinen Bucht ankerte eine kleine Segeljacht und davor fand ich eine geeignete Stelle zum Zelten. Da kannte ich aber Leszek Pichota noch nicht, denn der war sofort zur Stelle und nahm mich in Empfang. Im Hintergrund hörte ich die ganze Zeit schon Kruwkas Kühe muhen. Neben uns stand ein ehemaliger Militär Funkkoffer und diente Leszek als Unterkunft. Umgehend wurde ich aufgefordert, am großen, selbst gezimmerten Tisch Platz zu nehmen und ein großes Glas frischer Kuhmilch zu trinken. Dazu gab es selbst eingelegte Salzgurken und die leckeren Kruwka-Bonbons. Leszek wollte alles wissen was mich bewegte diese Tour zu machen. Wie selbstverständlich wurde ich natürlich auch zum Abendessen eingeladen. Natürlich durfte auch der delikate polnische Wodka nicht fehlen. Zum Glück holte mein neuer Freund Leszek eine Plastiktüte raus und entnahm ihr gefühlte 10 Tabletten, die er tapfer herunter schluckte. Als er mir noch einen Wodka anbot, aber wegen seiner Medikamente selbst keinen mehr trinken durfte, lehnte ich natürlich dankend ab. Anschließend bekam ich noch eine kleine Führung zu den Kühen und den Gemüsefeldern. Da es mittlerweile schon dunkel war, kam Leszek natürlich mit einer Taschenlampe zum Ufer leuchtete mir beim Zeltaufbau. Danach saßen wir noch ganz lange am Ufer und beobachteten einen wunderschönen Mondaufgang über dem Stausee.

Weiter ging's auf dem langen Stausee Richtung Włocławek zur Schleuse und dem Staudamm. Wie immer bei Gegenwind. Beim Schleusenmeister keine Chance auf Schleusung wegen Niedrigwasser. Bei etwa 13 m Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser würden natürlich ungefähr zehntausend Kubikmeter Wasser abfließen, denn die Schleusenkammer ist doch ziemlich groß. Nachdem mein Boot aus dem Wasser war und auf dem Bootswagen lag, konnte ich über das Schleusengelände und die Straße und etwa 500m Beton-Weg den Abstieg zum Wasser wagen. Wieder waren die Böschungen sehr steil. Ein ziemlich korpulenter Angler bot mir seine Hilfe an und hielt die Bootsleine. Aber leider sauste ihm die Bootsleine durch die Finger und er saß plötzlich unsanft auf dem Hintern. Das Boot sauste mit zunehmender Geschwindigkeit die Böschung herunter und schwamm dann mit untergeschnalltem Bootswagen im Wasser. Nach dem ersten Schreck konnte ich aber keine Schäden am Boot feststellen. Außer einer leichten Steiß Prellung ist auch dem hilfsbereiten Angler nichts passiert. Ich bedankte mich dziekuje bardzo bei ihm. Die ganze Aktion hat mir ungefähr eineinhalb Stunden schweißtreibende Arbeit beschert.

Am nächsten Tag, einem Sonntag, sollte mein Tagesziel die schöne alte Stadt Torun Thorn sein, bekannt durch den großen Sohn dieser Stadt - Nikolaus Kopernikus.

Nach einer Woche Wildnis machte ich mich landfein und vertäute mein Boot am offiziellen Kajaksteg. Der Kulturschock ließ nicht lange auf sich warten, denn ich war plötzlich inmitten von Menschenmassen. Auffällig war für mich die Häufung von Handy-Liebhabern, die von ihrer Umgebung nicht mehr viel wahrnehmen. Schade für die schöne Stadt mit ihrer wunderschönen Lage an der Wisla. Trotzdem fühlte ich mich von vielen Leuten beobachtet. Als ich mich in einer Schaufenster-Scheibe betrachtete, merkte ich auch, was so auffällig an mir war. Mein 20 Liter Faltwassertank hing leer an meiner Fototasche. Na gut, erstmal eine schöne Gaststätte

aufgesucht und ein schönes Steak bestellt, sowie ein schönes kühles Bier genossen. Nach einer Woche eigener Kochversuche genießt man doch ganz anders. Selbstverständlich führte mich die nette Kellnerin auch zu einer Wasserstelle, um meinen Tank mit frischem Trinkwasser zu füllen. Nach etwa 3 Stunden Landgang war ich dann aber auch froh, wieder in der freien Natur zu sein.

Ab Bydgoszcz, als dem westlichsten Ort meiner Fahrt fließt die Wisła erstmal ein gutes Stück in Nordostrichtung und dann fast in Nordrichtung der Ostsee entgegen. Ich frohlockte schon, endlich dem ständigen Gegenwind ein Schnäppchen zu schlagen und tatsächlich hatte ich ab Bydgoszcz den Wind von der Seite. Sofort den Mast gestellt und die Segel getakelt und die Post ging ab. Nach dieser windigen Etappe hatte ich zum ersten mal 60 km an einem Tag zurückgelegt, und konnte mich etwas erholen. Das Am Windsegeln erzeugt eben doch die höchste mögliche Geschwindigkeit. Nach diesem recht erfolgreichen Tag schaltete ich am Abend mein Handy ein um meinen Standort zu ermitteln und ein Lebenszeichen in die Heimat durch zu geben.

 

Als nächsten Etappenort erreichte ich am Abend Grudziadz Graudenz, eine von den etwas größeren Städten im Verlauf meiner Fahrt. Auf der rechten Flussseite waren schon die gewaltigen Bauten der Graudenzer Festung im roten Backstein Stil zu sehen. Sofort erkannte ich die Möglichkeit mit der untergehenden Sonne wunderbare Fotos der Festung zu machen.

Betrachtet man mal das Höhenprofil von Polen, so bemerkt man natürlich, das es sich weitgehend um eine große Tiefebene handelt. Das Riesengebirge, die Hohe Tatra und die Beskyden im Süden des Landes mal ausgenommen. Umso mehr erstaunten mich die in regelmäßigen Abständen, bis kurz vor der Mündung, vorhandenen Flussdurchbrüche. Einige Durchbrüche erinnerten mich im Aussehen an die Kliffe auf der Insel Rügen. Selbst in der Höhe über dem Wasserspiegel können es manche mit denen auf Rügen aufnehmen.

Ein näherkommendes Brummen eines Außenbordmotors erregte meine Aufmerksamkeit. Ein Zweier Canadier war mit einem Gestänge und einer Plattform mit einem schmalen Schwimmausleger verbunden. Auf der Plattform stand ein bequemer Sessel, hinter dem Sessel war der 1,5 PS Heckmotor befestigt. Das bemerkenswerteste jedoch war, das auch während der Fahrt auf der Plattform aufgebaute Zelt. Ein echter Erfindergeist, wie man ihn wahrscheinlich nur hier finden kann. Ein echtes Kajüt-Katamaran Boot mit dem der Bootsführer sicher auch viel Spaß hatte. Später erfuhr ich das solche Art von Fahrzeugen Pirogen genannt werden und in der Südsee von den Eingeborenen zum Fischfang verwendet wurden.

 

Etwa 5km vor der Mündung in die Ostsee bog ich links in die Martwa Wisła ab. Nach 10 km Fahrt erreichte ich den kleinen Neptun Jachtclub morski. Ein kleiner Segelboot Hafen im Danziger Vorort Gorki Zachodnie, etwa einen Kilometer vor der Mündung der Martwa Wisła in die Ostsee. Ich erkundigte mich beim Bosman, dem Hafenmeister, ob hier ein paar Übernachtungen möglich sind, was er bejahte. Nur müsste ich mich morgen früh beim Pan Kirownik, Herrn Direktor, melden. Dieser fühlte sich natürlich am nächsten Tag sehr geschmeichelt über die ehrfurchtsvolle Begrüßung meinerseits. Er übergab mir den Schlüssel für das große Eingangstor.

Damit war nun die Fahrt auf dem Wasserweg beendet.  

 

Do widzenia, Polska! - Auf Wiedersehen, Polen! 

Die Rückreise und einige allgemeine Bemerkungen

Mit dem Stadtbus ging es zum Bahnhof Gdansk Głowny, Danzig Hauptbahnhof. Ich bestieg den pünktlich einfahrenden ICE vom Typ Pendolino, Made in Italy - also mit Neigetechnik. Die PKP Polnische Staatsbahn hat ja nicht gerade den besten Ruf, belehrte mich jedoch diesmal eines Besseren. Der Zug war pik sauber und schnurrte nur so dahin. Selbst eine kleine Mahlzeit und Getränke gab es gratis.

Nach etwas über 3 Stunden erreichte ich Warszawa Zentralni den Warschauer Zentralbahnhof.

Für ca. 350 km entrichtete ich einen Fahrpreis von nur 160 Złoty (entspricht etwa 40 €). Beim ersten Tanken oder Einkaufen sowie im Gastronomiebereich bemerkt man natürlich sofort, dass hier ein deutlich niedrigeres Preisgefüge vorhanden ist. Natürlich ist das allgemeine Lohnniveau ebenfalls noch deutlich niedriger als in Deutschland.

Nach kurzem Fußweg erreichte ich den PTTK Hafen und die Weichsel, begrüßte freudig Lukasz, den Bosmanund meinen Oktavia, welcher sich wie selbstverständlich von mir starten ließ. Nach Entrichtung der recht hohen Parkgebühr fuhr ich entspannt wieder zurück nach Danzig, wo ich gegen 23:00 das Hafen Tor öffnen konnte.

Am nächsten Tag war natürlich noch eine ausführliche Stadtbesichtigung angezeigt. Das Geburtshaus von Günter  Grass undder Militärstützpunkt Westerplatte standen auf dem Programm. Den Rest des Tages verbrachte ich mit ausgiebigen Erkundungen der einfach wunderschönen Alt- und Rechtsstadt Danzig. 

Nach einem schönen, aber auch anstrengenden Tag kam ich wieder in meinem Hafen an, und wurde von dutzenden, im Hafenbecken schwimmenden Schwänen empfangen. Ich holte etwas Brot aus dem Zelt und veranstaltete noch eine kleine Fütterung.

Kulinarisch betrachtet dürfen einige spezielle Gerichte der polnischen Küche bei jedem Aufenthalt natürlich nicht fehlen. Dazu gehören Bigos, Piroggen, Borscht und diverse Fischgerichte. Nicht zu vergessen Placki Kartoffelpuffer und Nalesniki Eierkuchen. Zum ersten mal im Leben habe ich diesmal Flaki Flecke gegessen, also Innereien wie Pansen und ähnliches. Es schmeckte mir sehr gut.

Am nächsten Morgen waren Boot und Zelt schnell im Auto verstaut. Nun noch schnell zum Herrn Hafen-Direktor, um die Rechnung zu bezahlen. Aber der bewies eben auch die große Geste von polnischer Gastfreundschaft. Ich brauchte nichts zahlen. Er sagte: "Komme bald mal wieder und empfehle uns weiter", was ich hiermit natürlich gerne mache. Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander mit der Gewissheit wieder mal gute Freunde gefunden zu haben.

Als Resümee dieser Fahrt kann ich allen Kanuten empfehlen: Überwindet eure vielleicht vorhandenen Vorurteile gegen unser Nachbarland und wagt eine wunderschöne Wanderfahrt auf einem der letzten europäischen Flüsse dieser Größe; weitgehend naturbelassen, ohne Binnenschifffahrt und vielleicht eine der letzten Traumrefugien in Mitteleuropa. Die Weichsel ist ein Fluss den man in seinem Leben als Wasserwanderer einmal gepaddelt haben sollte.

In diesem Sinne - Do widzenia, Polska, Auf Wiedersehen, Polen.

 

PS: Sicher habt ihr die teilweisen kursiv geschriebenen Textstellen bemerkt. Das soll ein kleiner Versuch zur Annäherung an die Sprache des Gastlandes sein. Danke auch an meinen Oktavia, nach insgesamt 250.000 km Fahrleistung wurde er nach glücklicher Ankunft in Weimar verschrottet.


--> Bei dem veröffentlichten Bericht handelt es sich um eine Kurzfassung der Tour. Die Beschreibung der gesamtem Reise steht rechts als Download zur Verfügung:

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Kommentare: 2
  • #2

    Sandi (Donnerstag, 20 Februar 2020 15:29)

    Da kann ich mich Reiner L. nur anschließen.
    ...und die phantastischen Fotos !!!
    Ich freue mich auf mehr.

  • #1

    Reiner L. (Dienstag, 18 Februar 2020 13:14)

    Hallo Martin,
    das war interessant und gut zu lesen, ich freu mich schon auf die Fortsetzung.
    Mit sportlichem Gruß
    Reiner L.